Es war ein diplomatischer Eklat mit Ansage: US-Präsident Trump brüskierte den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor laufenden Kameras. Seine Botschaft: „Ich mache das, weil meine Bürgerinnen und Bürger das auch so sehen.“ Mit dieser Aussage verkehrte er nicht nur Opfer und Täter, sondern spielte auch russischer Propaganda in die Hände.1
Wenn Einfachheit verführt
Schlimm fand ich heute eine Begegnung beim Einkaufen. Schweizer Stimmbürger jenseits der 70 (no front, Boomer) hörte ich begeistert sagen: „Endlich jemand, der diesem Selenskyj die Meinung sagt und auf sein eigenes Land schaut!“ Ihre Augen leuchteten, die Stimmen entschlossen. Was in diesem Moment fehlte, war das Bewusstsein für die Konsequenzen – die Erkenntnis, dass unsere Welt nicht am eigenen Gartenzaun endet.
Diese Szene wirft bei mir Fragen auf: Was macht einfache Antworten auf komplexe Fragen so verführerisch? Warum finden populistische Botschaften selbst bei reflektierten Menschen Anklang?2
Warum ist Komplexität unsexy?
Unsere moderne Welt gleicht einem riesigen, dreidimensionalen Puzzle. Jedes Teilstück – sei es Wirtschaft, Klimapolitik oder internationale Beziehungen – greift in andere ein. Um das Gesamtbild zu erkennen, braucht es Zeit, Geduld und kognitive Energie. Doch genau diese Ressourcen sind in unserer schnelllebigen Gesellschaft knapp bemessen.
- Kognitive Anstrengung: Komplexe Themen erfordern tiefgehendes Verstehen. Doch viele Menschen haben weder Lust, Zeit noch Energie für diese Auseinandersetzung. Manchen fehlt auch der Intellekt.
- Unsicherheit und Ambiguität: Klare, einfache Antworten wirken beruhigend. Unsicherheit hingegen verursacht Stress.
- Emotionale Reaktionen: Komplexe Informationen frustrieren oder ängstigen. Das macht einfache Botschaften besonders attraktiv.
Die Strategie populistischer Kräfte
Populistische Akteure – ob Trump in den USA oder Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – nutzen dieses menschliche Bedürfnis nach Einfachheit geschickt aus3. Sie agieren wie Zauberkünstler: Mit der einen Hand zeigen sie auf vermeintlich einfache Lösungen, während die andere Hand die Komplexität verschwinden lässt. Der Mechanismus ist einfach:
- Vereinfachung von Problemen: Komplexe Themen werden auf simple Ursache-Wirkungs-Beziehungen reduziert.
- Nutzung von Emotionen: Angst, Wut und Stolz sind starke Treiber. Einfache Botschaften bleiben im Gedächtnis und sind schwer zu widerlegen.
- Schaffung von Identität: „Wir gegen die“-Narrative geben Anhängern ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit.
Gefahr simplifizierender Antworten
Diese Vereinfachungen sind wie schnell wirkende Medikamente, die Symptome lindern, aber die Grunderkrankung verschlimmern. Sie führen zu falschen Schlussfolgerungen, verstärken Vorurteile und treiben gesellschaftliche Keile immer tiefer.
Im deutschen Wahlkampf 2025 brach sich diese Gefahr Bahn. Einfache Antworten populistischer Kräfte schoben die notwendigen differenzierten Ansätze in den Hintergrund. Dies schadet nicht nur dem politischen Diskurs, sondern untergräbt auch das Vertrauen in demokratische Institutionen – jene Strukturen, die gerade für den Umgang mit Komplexität geschaffen wurden. Aber leider sind diese Strukturen auch manchmal Ursache komplexer, langsamer Bürokratiemonster.
Unsere gemeinsame Verantwortung: Komplexität neu erzählen
Um populistischen Vereinfachungen zu begegnen, brauchen wir eine neue Art der Kommunikation:
- Komplexität als Chance darstellen: Nicht als lästiges Übel, sondern als Zeichen einer vielfältigen, lebendigen Gesellschaft, in der unterschiedliche Perspektiven Raum haben.
- Probleme ehrlich benennen: Die Herausforderungen unserer Zeit sind real und verdienen eine klare Ansprache – ohne in vereinfachende Schwarzweissmalerei zu verfallen.
- Brücken bauen zwischen Fakten und Gefühlen: Daten und Zahlen allein überzeugen selten. Sie müssen mit Geschichten verbunden werden, die Menschen emotional erreichen.
Dies ist kein einfacher Weg. Dieser verlangt Geduld, Ausdauer und den Mut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Doch genau darin liegt auch seine Stärke: Im gemeinsamen Ringen um Verständnis entsteht eine robustere Demokratie – eine, die nicht auf dem Sand einfacher Antworten, sondern auf dem festen Grund differenzierter Betrachtung gebaut ist.
- Zum diplomatischen Super-GAU, hier ein analysierender Beitrag: https://www.nytimes.com/2025/02/28/us/politics/trump-ukraine-zelensky.html
Eine schöne Analyse der Fehler von Trumps Wutausbruch hier: https://snyder.substack.com/p/five-failures-in-the-oval-office?r=281cl6&utm_medium=ios&utm_campaign=audio-player
NY-Times berichtet, wie Trumps Ausbruch den Russen in die Hände spielt: https://www.nytimes.com/2025/03/01/world/europe/trump-zelensky-putin.html
Auch sehr gut vom Historiker Timothy Snyder ↩︎ - Spannend: “The Complexity of Populism” untersucht die Erfolgsfakten des Populismus. ↩︎
- Georg Vobruba (Uni Leipzig) erforscht das tiefer in seinem Buch: “The logic of populism. Consequences of the clash between complexity and simple thinking”. “Populism results from the attempt to cope with the complexity of society with simple everyday thinking. The thesis is based on two conditions. The first condition is that everyday thinking relies on a simple understanding of causality that follows the logic of action.” ↩︎


Hinterlasse einen Kommentar