Etwas Demut tut uns allen gut

Gestern kam es zu einer Notbremsung.

Es war das zweite Mal in meinem Leben, dass ein Mensch durch den Zug ums Leben kam, in dem ich sass. Ein Moment der Stille, dann hektische Bewegung: Rettungskräfte, Absperrungen, Sichtschutze entlang des Zuges. Nicht für uns. Sondern für den verstorbenen Menschen – zum Schutz seiner Würde. Vor Gaffern. Vor Handykameras. Vor jener Art von Aufmerksamkeit, die nur nimmt.

Stimmen aus der Stille

Was blieb, war ein kurzer Moment, in dem nur wir im Zug die Durchsagen hörten. Die Stimme des Zugbegleitenden war brüchig. Die Worte des Lokführers schwer. Auch ihr Tag endete anders, als geplant. Auch sie waren betroffen – vielleicht mehr, als es nach aussen sichtbar war.

Und doch: Im selben Zug sassen Menschen, die sich beschwerten. Lautstark, spöttisch. Weil sie zu spät zum Bier kamen oder die nächste Party verpassen würden. Keine Frage – jeder hat seine eigenen Pläne. Aber wo bleibt der Respekt? Vor dem Leben? Vor dem Leiden eines anderen Menschen?

Solche Momente zeigen, wie eng Gleichgültigkeit und Überforderung beieinanderliegen. Wie wenig Raum wir manchmal dem echten Leben lassen – mit all seiner Unvorhersehbarkeit, seiner Schwere, aber auch seiner Tiefe.

Die kleinen Zeichen der Gleichgültigkeit

Und dann war da dieses eine Bild.

Ein Kaugummi, festgedrückt in der Armlehne des Zugsitzes. Eine Kleinigkeit – auf den ersten Blick. Und doch sagt sie so viel. Sie steht für eine Haltung: Verantwortung wird abgeschoben, Rücksicht wird zum Aufwand, Mitgefühl zur Nebensache.

Ein Appell an Achtsamkeit

Ich möchte mich wieder darin üben, das Leben bewusster wahrzunehmen. Dankbarer zu sein. Nicht nur für das, was gelingt – sondern auch für das, was einfach da ist: ein Sonnenstrahl im Gesicht. Ein Lächeln im Vorübergehen. Ein Moment der Ruhe.

Dazu gehört auch Demut. Und der Respekt – vor anderen, vor dem Leben. Und manchmal auch vor einem Kaugummi in der Armlehne.

Eine Antwort auf „Etwas Demut tut uns allen gut

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  1. Deine Worte treffen etwas, das oft unausgesprochen bleibt – diese seltsame Gleichzeitigkeit von Tragödie und Alltäglichkeit, die in solchen Momenten aufeinanderprallt.

    Wir vergessen oft, dass auch das Zugpersonal nicht einfach weitermachen kann, als wäre nichts geschehen. Sie müssen trotzdem funktionieren, durchsagen, organisieren. Mancher kann mit dem Erlebten nicht umgehen und wechselt den Job.

    Der Kontrast zu den Beschwerden im selben Zug zeigt, wie sehr Respekt und Empathie vielen Menschen abhandengekommen sind. Es ist beunruhigend, wie achtlos manche durchs Leben gehen – unfähig, das Schöne wahrzunehmen oder echte Emotionen zuzulassen. In Momenten wie diesen wird sichtbar, wie weit sich einige von dem entfernt haben, was uns menschlich macht.

    Das Bild mit dem Kaugummi ist stark. Es zeigt, wie Haltung sich in den kleinsten Gesten ausdrückt – oder eben nicht. Dein Appell an Achtsamkeit ist kein erhobener Zeigefinger, sondern eine Einladung. Danke dafür.

    Ich hoffe, du kommst gut durch diese Erfahrung.

    Liebe Grüsse

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