Vernunft, wo bist Du? 

1985 – Es ist ein später Nachmittag unter der Woche. Und da steht Frau Meier* wieder und fegt den Rinnstein an der Bundesstrasse. Es ist ja ihr Geschäft, dessen guter Name im Dorf durch den Dreck im Rinnstein beschmutzt würde. Also reckt sie wie seit vielen Jahren üblich ihren Körper weit auf die Fahrbahn und fegt unter wüstem Gehupe der durchbretternden LKW inbrünstig wie gründlich die Strasse. 

Szene vergangener Tage

So unbeeindruckt Frau Meier mit ihrem westfälischen Dickkopf dies seit alters her in meinem Heimatort getan hat, so unbeeindruckt hat die Gesellschaft zugeschaut, wie die damaligen Fahrzeuge die Luft verdreckt hat. Lange wehrte man sich gegen Veränderungen. Irgendwie wahnsinnig. 

Denn früher wie heute war es wahnsinnig, technologischen Fortschritt zu verteufeln. Diese einfach deshalb, weil er althergebrachtes infrage stellt. Wo früher eine Häuserfassade nach der anderen bei uns an der Bundesstrasse im Laufe der Monate jegliche Farbe verloren und vom Russ angenommen hat, strahlen heute die Häuser über Jahre frisch und neu – wie so manche Lunge wohl auch. Ein Grund dafür ist der Katalysator.

Sperren gegen Veränderungen

Zu teuer, zu wenig Nutzen, argumentierte die Autolobby und der hoch angesehene ADAC. Und so sah es dann auch die Bevölkerung. Niemand wollte für ein Auto plötzlich wegen etwas Umweltschutz deutlich mehr bezahlen(1). Denn der Kat verhindert den Klimawandel ja nicht. Und dieser sei ja auch nicht menschengemacht(2). Einzug in LKW und PKW hielt der Kat dann aber dennoch. Gott sei Dank! Vor allem wegen Frau Meier, die zumindest nicht mehr im schädlichen Abgasdampf fegen musste. 

Heute ist die E-Mobilität der Aufreger schlechthin. Zu teuer, zu kompliziert und vor allem ein Fake in Sachen Umweltschutz. (Ganze Bücher werden mit Mythen gefüllt, Versorger prüfen Fakten oder der erwähnte ADAC.) Klar, noch stimmt die Infrastruktur nicht flächendeckend. Klar ist der Strom nicht immer nachhaltig produziert. Aber hey, fangen wir doch einmal an. Auch ich liebe meinen Diesel Defender. Aber auch ich liebe die Natur und das Leben. Lasst es uns doch einfach wagen. Wird schon nicht so schlimm.

Frau Meier war damals für uns Kinder die «verrückte Alte», die für einen sauberen Rinnstein ihr Leben riskierte. Heute ist sie für mich eine Ikone des stillen fegenden Protestes gegen den Wahnsinn.

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